Livio&Sonja: es ist kompliziert😅

Seit Jahren beschĂ€ftigt mich das Thema der Pseudo-BedĂŒrfniserfĂŒllung, die ich in der mich umgebenden Kultur beobachte. Damit meine ich hilflose Strategien, die wir Menschen kulturell bedingt als normal empfinden, die aber unsere wahren BedĂŒrfnisse nie wirklich stillen. DarĂŒber schreibe ich heute.

Bild: Lara MĂŒller

Aber zuerst noch vier Highlights:

  1. 🔥 Wir waren mit ĂŒber 70 Menschen fĂŒr ein Wochenende auf der Rigi!
  2. 🔥 Ausstellung Â«A Mile in My Shoes», eine Kooperation mit Empathy Museum und Empathie Stadt ZĂŒrich 22.06.2023 – 11.02.2024
  3. 🔥 5. sE>ndung mit Sonja & Livio: Kommunikation in intimen Beziehungen
  4. 🔥 Am 5. Juni startet der nĂ€chste Grundlagenkurs in Empathie und Konfliktlösung mit Tanja Walliser.

Es folgen Bilder des Rigi-Wochenendes zum Thema wenn der LĂ€rm nachlĂ€sst. Es war eine Wucht!

Wir haben uns riesig gefreut, als Bruno Heller, der die Ausstellung A Mile in My Shoes des Empathy Museums (London) nach ZĂŒrich (genau genommen nach Zollikon) bringt, uns gefragt hat, ob wir ebenfalls einen Raum des Museums bespielen wollen. NatĂŒrlich wollen wir. Stay tuned,  im nĂ€chsten Newsletter gibt’s mehr Infos. Merkt euch aber schon mal das Datum der Vernissage: 22. Juni

In der 5. sE>ndung Â«wir brauchen einandE>r» reden Sonja Wolfensberger und Livio Lunin ĂŒber ihre Beziehung (es ist kompliziert 😅), darĂŒber, wie sie Beziehung gĂ€nzlich neudenken, wie es möglich ist, dass Ehrlichkeit zu NĂ€he fĂŒhrt und warum Snowboarden ein besseres Beziehungsziel sein kann als Zusammenziehen.

↑ Klick dich durch die Galerie.


Mit Pseudo-BedĂŒrfniserfĂŒllung meine ich hilflose Strategien, die wir Menschen kulturell bedingt als normal empfinden, die aber unsere wahren BedĂŒrfnisse nie wirklich stillen.


ZurĂŒck zum Thema des Newsletters.  Heute geht es um eine bestimmte Art der Pseudo-BedĂŒrfniserfĂŒllung – das Streben nach Karriere – und ich nehme dies als Anlass, ein PlĂ€doyer fĂŒr eine bestimmte «sanfte QualitĂ€t» zu halten, wie ich Miki Kashtans «soft qualities» frei ĂŒbersetze.Welche es ist, erfahrt ihr weiter unten.

Übrigens sehr lesenswert: Hier ist der ganze Artikel The Power of the Soft Qualities to Transform Patriarchy von Miki Kashtan.

Mein PlÀdoyer bildet die RealitÀt nicht 1:1 ab. Ich benenne lediglich Tendenzen, die ich vermute. Die Welt ist immer um ein Vielfaches komplexer als das, was wir in unseren niedergeschriebenen Gedanken erfassen können.

Also nehmt von meinen Worten einfach das mit, was euch anspricht und ignoriert den Rest. Oder noch besser, entwickelt meine Anstösse so weiter, dass sie euch inspirieren. Auch das ist eine sanfte QualitĂ€t, die ich restaurieren möchte: Ideen als bewegliche, unfertige Skizzen zu betrachten, die wir gemeinsam weiterentwickeln können.


Das Streben nach Anerkennung klingt manchmal wie der simple Ausdruck: «Darf ich dazugehören?» Das gilt auch fĂŒr verwandte WĂŒnsche wie Beliebtheit, BestĂ€tigung, ja sogar gewisse Formen der Liebe.


Neben der Kritik, dass nur eine Minderheit der Menschen die normierten Kategorien einer erfolgreichen Karriere erfĂŒllen können und dass Erfolg mehr mit Privilegien als mit harter Arbeit zu tun hat, interessiert mich eine weitere, manchmal vernachlĂ€ssigte Frage: Ist eine Karriere ĂŒberhaupt ein wĂŒnschenswerter Lebensweg?

Mir geht es nicht darum, auf Einzelpersonen zu zeigen und ihr Karrierestreben zu bemÀngeln. Ich bin mir bewusst, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der es grosse Anreize gibt, eine steile Karriere zu verfolgen. Es wird uns von klein auf beigebracht, dass wir mit finanziellem Wohlstand oder sozialem Status die Anerkennung unseres Umfeldes verdienen. So opfern viele Menschen unzÀhlige Jahre ihres Lebens an harte Arbeit, im Versuch, eine gesellschaftlich anerkannte Position zu erlangen. *

Dabei klingt fĂŒr mich das Streben nach Anerkennung manchmal wie der simple Ausdruck: «Darf ich dazugehören?» Das gilt auch fĂŒr verwandte WĂŒnsche wie Beliebtheit, BestĂ€tigung, ja sogar gewisse Formen der Liebe. In allen FĂ€llen, in denen Anerkennung ein Mittel fĂŒr das Erlangen von Gruppenzugehörigkeit ist, vermute ich, dass weder hoher Status noch finanzieller Überfluss das ewige Streben nachhaltig stillen kann. **

* SelbstverstĂ€ndlich ist ein gewisses Mass an finanzieller StabilitĂ€t sehr hilfreich, um ein Leben in Wohlergehen zu fĂŒhren und es gibt auch in der Schweiz mehrere hunderttausend Menschen, die zu wenig zum Leben haben. Ich rede hier von Karriere-WĂŒnschen, die ĂŒber das Abdecken von GrundbedĂŒrfnissen hinausgehen.

 ** Ich glaube sogar, dass hoher Status oder Reichtum zu sozialer Distanzierung fĂŒhren kann, also zum Gegenteil von Zugehörigkeit.

Bild: Francisca Antezana

Ich möchte lernen, eine neue Frage zu stellen. Nicht mehr: «Welche von aussen gegebenen Kriterien muss ich erfĂŒllen, um Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit zu erhalten?» Sondern: «Wo gehöre ich bereits bedingungslos dazu?» Darauf gibt es eine einfache Antwort.


Ich möchte den Wunsch nach Anerkennung jedoch nicht verdammen. Mich interessiert die Restauration des Wunsches. Ich möchte eine neue Frage stellen. Nicht mehr: «Welche von aussen gegebenen Kriterien muss ich erfĂŒllen, um Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit zu erhalten?» Sondern: «Wo gehöre ich bereits bedingungslos dazu?» Darauf gibt es eine einfache Antwort. Systemtheoretisch betrachtet gehören wir zum lokalen öko-sozialen System, das uns umgibt, ob wir es wollen oder nicht. Wir sind eingebettet (und somit zugehörig) ins System unserer Nachbarschaft, ins soziale Netzwerk unserer Ursprungs- und Wahlfamilie, in den Wald, wenn wir in ihm spazieren, in den Wasserkreislauf, wenn wir unseren Durst löschen, …

Wenn wir die individualistische PrĂ€gung ablegen, die uns vorgaukelt, dass wir ein isoliertes Dasein pflegen (was faktisch wirklich nicht stimmt) und wir anerkennen, dass wir zu einem grösseren, uns umgebenden System gehören, dann kommt automatisch die Frage auf, welche Aufgabe wir innerhalb dieses Systems zu erfĂŒllen haben. Es ist ein biologisches Prinzip, dass jedes Element im System eine Funktion fĂŒr die Lebendigkeit des gesamten Systems erfĂŒllt.

Die Antwort darauf, was meine persönliche Aufgabe ist, ergibt sich direkt aus den BedĂŒrfnissen des mich umgebenden Systems. «Wer braucht etwas und was kann ich tun?»*, sind dann die empathischen Fragen, die uns orientieren.

* Auch: «Was brauche ich und wer hilft mir?» Self-Care ist immer Teil des Beitrags ans System.

Bild: Lara MĂŒller

Ich wĂŒnsche mir eine kollektive Restauration der sanften QualitĂ€t des Pflegens, deren Kraft in patriarchalen Strukturen negiert wird. Es gibt mir Hoffnung zu erleben, dass diese Bewegung bereits im Gange ist.


Handlungen wie eine kranke Person aus der Nachbarschaft pflegen, den Wald von Abfall befreien, ein Kind grossziehen (der Karriere-Killer schlechthin) oder Blumen fĂŒr lokale Insekten sĂ€en, sind Taten, mit denen wir NĂ€he mit der uns umgebenden Welt kultivieren. In solchen intimen Beziehungen spĂŒren wir in jeder Handlung, dass sie dem Leben dient. Diese Art der Anerkennung ist eine sanfte QualitĂ€t, die uns erfĂŒllt, weil wir direkt erleben, dass unsere Gabe im System gebraucht wird. In einem Gesellschaftssystem, in dem wir auf dieser Basis zusammenleben, sind wir um ein Vielfaches weniger anfĂ€llig auf die Sucht nach stetiger Anerkennung von aussen, weil Anerkennung und die damit verbundene Zugehörigkeit bereits intrinsisch in unsere Handlungen eingeflochten werden.

Darum wĂŒnsche ich mir eine kollektive Restauration der sanften QualitĂ€t des Pflegens, deren Kraft in patriarchalen Strukturen negiert wird. Es gibt mir Hoffnung zu erleben, dass diese Bewegung bereits im Gange ist, weil es fĂŒr den Status Quo einer Karriere besessenen Gesellschaft subversiv ist, das Leben – in uns und um uns – zu pflegen.

In diesem Sinne beende ich mein PlĂ€doyer mit einem Ausdruck der Dankbarkeit an alle, die das Leben pflegen. Besonders berĂŒhren mich LebensentwĂŒrfe von Menschen, die sich «pflegend» â€“ im weitesten Sinne des Wortes * â€“  in ihrem lokalen System einsetzen, auch wenn sie soziale Benachteiligung erleben wie geringen oder keinen Lohn, geringe oder keine Anerkennung, geringe oder keine Zugehörigkeit zur «normalen» Gesellschaft. Danke, dass es euch gibt. Euer Wirken ist wichtig fĂŒr die Welt. Lasst euch nichts Gegenteiliges erzĂ€hlen.

* Zu diesem weitesten Sinn zĂ€hle ich das ganze Spektrum der Pflege unserer Systeme, von der Care-Arbeit, ĂŒber die regenerative Umweltbewegung, bis hin zum politischen Einsatz fĂŒr systemischen Wandel.

So, das wars. Ich bin gespannt von euch zu hören und hoffe, dass das Lesen genussvoll war.

Liebe GrĂŒsse
E> Lara

PPPPPS: Heute beginne ich mit «PPPPPS».

PS: Ich finde es eine komische Aufgabe, Menschen in jedem Newsletter ❤️ohne zu nerven darauf aufmerksam zu machen, dass wir immer noch auf der Suche nach Fördermitgliedern sind.

PpPpPpPS: Heieiei wĂ€re ich dankbar, wenn heute der Tag wĂ€re, an dem du dich entscheiden wĂŒrdest, uns finanziell zu unterstĂŒtzen.

P: Bis jetzt waren es durschnittlich zwei Personen pro Newsletter, schaffen wir dieses mal 10?  🤞🤞🤞

S: Ich habe 100% VerstÀndnis, wenn du nicht magst.

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