E> Perspektive: Gewalt in der Welt🌍

Hoi

Mein Magen dreht sich. Seit Wochen entscheide ich mich immer wieder, trotzdem hinzuschauen. Warum, erkläre ich am Ende des Textes.


Die vergangenen Wochen* verdeutlichen auf grauenvolle Weise, wie wichtig es ist, die Frage zu stellen, wie ein derartiges Ausmass an Gewalt in der Welt möglich ist und vor allem darüber nachzudenken, wo der Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden könnte.


Etwas vorweg: Leute fragen uns manchmal, wie sie unser Projekt unterstützen können. Diese Frage ist wohltuend, denn, auch wenn es unangenehm ist, es zuzugeben, wir bräuchten eingentlich mehr Unterstützung, als wir im Moment erhalten. Hier drei Möglichkeiten:

  1. Einmalige Spenden (twinte hier direkt)
  2. Werde hier unser Fördermitglied
  3. Komm mit deinen Liebsten zum Zoom-E>inführungsabend am 11.1.24 mit Noah Schöppl
    1. Wenn du unsere Kurse bereits kennst, unterstützt es uns sehr, wenn du ein, zwei Leute an den E>inführungsabend einlädst.

Noch was, ich (Lara Müller) wurde von Simon Jacoby, Chefredaktor von Tsüri, in einem Podcast zum Nahostkonflikt interviewt. Ein anderer Blickwinkel, als die Frage der Gewalt, die ich in diesem Newsletter vertiefe: Tsüri.ch Podcast – Wie können wir über den Nahostkonflikt reden, ohne dass unsere Beziehungen darunter leiden.

Nun zum Thema dieses Newsletters:

Ich spüre ein gewaltiges Nicht-Wissen darüber, wie ich etwas zum Ende der Gewalt beitragen kann, insbesondere über das Medium eines Newsletters. Ich schreibe trotzdem, weil ich in meinem geschützten Alltag die Augen vor dem Leid in der Welt nicht verschliessen will. Ich will meine Stimme erheben.

Ich spüre ein gewaltiges Nicht-Wissen darüber, wie ich etwas zum Ende der Gewalt beitragen kann, insbesondere über das Medium eines Newsletters. Ich schreibe trotzdem, weil ich in meinem geschützten Alltag die Augen vor dem Leid in der Welt nicht verschliessen will. Ich will meine Stimme erheben.

Ich schreibe aus der privilegierten Position heraus, in der Schweiz zu leben, weiss zu sein und aus einer säkular-christlichen Familie zu stammen. Ich bin weder Nahostexpertin noch Kriegsforscherin. Ich setze mich hauptberuflich mit dem Thema Konflikt und Konfliktlösung auseinander.

Die vergangenen Wochen* verdeutlichen auf grauenvolle Weise, wie wichtig es ist, die Frage zu stellen, wie ein derartiges Ausmass an Gewalt in der Welt möglich ist und vor allem darüber nachzudenken, wo der Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden könnte. Darum habe ich mich entschieden, die nun folgende Analyse zum Thema Konflikteskalation und Gewalt zu veröffentlichen.

Während des Schreibens halte ich alle Menschen im Herzen, die getötet wurden. Alle Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Alle Kinder, die keine Eltern mehr haben. Alle, die nicht wissen, ob sie ihre Liebsten je wieder in die Arme schliessen werden. Alle, die (re)traumatisiert wurden. Alle, die es noch werden. Alle, weltweit, auch die, die wenig oder keine mediale Aufmerksamkeit erhalten für die Gewalt, die sie erleben. Mein Herz ist mit euch. In tiefster Würdigung eures Überlebens und eures Todes.

Diese Analyse ist komplementär und nicht als Ersatz für humanitäre Hilfe und politische Handlungen gegen Gewalt gedacht. Es ist wichtig, dass wir uns kollektiv mit direkten Aktionen für den Schutz aller Opfer einsetzen. Es ist ebenso wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen, wie Gewalt entsteht und wie sie verhindert werden könnte. Am Ende der Analyse benenne ich Handlungen, die wir aktuell unternehmen können, um zur Linderung der Gewalt beizutragen.

Ich verstehe diesen Text als einen Anfang und bestimmt nicht als die letzte Wahrheit. Keine Analyse ist je abgeschlossen. Lasst mich wissen, was ich streichen, umschreiben oder zusätzlich anfügen kann.

*Dazu möchte ich anmerken, dass Gewalt weder im Nahen Osten noch weltweit etwas Neues ist und ich diese Frage deswegen, seit ich mich erinnern kann, in meinem Herzen trage.


Diese Analyse ist komplementär und nicht als Ersatz für humanitäre Hilfe und politische Handlungen gegen Gewalt gedacht. Es ist wichtig, dass wir uns kollektiv mit direkten Aktionen für den Schutz aller Opfer einsetzen.


Ich beginne mit einem Plädoyer für die Rehabilitierung des schlechten Rufs von Konflikt.


Warum wir überleben: menschliche Bedürfnisse

Ich hole etwas aus, aber ich verspreche euch, es wird Sinn ergeben, warum ich mit Biologie beginne.

Biologisch betrachtet ist der Mensch ein Organismus. Das bedeutet, dass unser Körper ständig ausser Balance gerät und wieder in Balance gebracht werden muss, um zu überleben. Wir haben folglich körperliche Bedürfnisse, die wir regulieren. Oft geschieht dies durch die Aufnahme von Teilen der Aussenwelt und – eben so wichtig – durch die Ausscheidung dessen, was für uns giftig ist: einatmen und ausatmen, trinken und urinieren, etc. Ohne diesen sog. homöostatischen Balanceakt wären wir nicht lebensfähig.  

Neben den körperlichen Bedürfnissen haben wir zudem psychische Bedürfnisse. Wir werden krank, erleben Traumatisierung und im Extremfall sterben wir, wenn unsere psychischen Bedürfnisse unerfüllt sind, selbst wenn alle körperlichen Bedürfnisse gestillt werden. Beispiele für psychische Bedürfnisse sind Liebe, Selbstbestimmung, Sicherheit und Zugehörigkeit.

Marshall Rosenberg, der Begründer des Ansatzes, nach dem wir in der Empathie Stadt arbeiten, macht eine klare Unterscheidung zwischen Bedürfnissen auf der einen Seite und den Strategien, die wir wählen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen auf der anderen Seite. Ein klassisches Beispiel ist, dass der Pizzeria-Besuch mit der Familie kein Bedürfnis ist, sondern eine Strategie, unser Bedürfnis nach Nahrung und Zugehörigkeit zu erfüllen. Wir könnten aber genauso gut Reis und Gemüse in unserer WG essen und damit dieselben Bedürfnisse stillen. Bedürfnisse sind also abstrakt (Nahrung, Zugehörigkeit), während die Strategien konkret und machbar sind (Familien-Pizza-Besuch / Reis und Gemüse in der WG).

Ich schreibe nun darüber, welche zentrale Rolle unsere Bedürfnisse und Strategien im Kreislauf der Gewalt spielen und warum Konflikte nicht mit Gewalt gleichzusetzen sind. Ich beginne mit einem Plädoyer für die Rehabilitierung des schlechten Rufs von Konflikt.

Warum wir Konflikt brauchen

Ich definiere Konflikt als kreativen Prozess, in dem zwei oder mehr Menschen Strategien neu verhandeln, mit denen sie ihre Bedürfnisse erfüllen wollen. Konflikt tritt also dann auf, wenn die vorhandenen Strategien aktuelle Bedürfnisse nicht (mehr) erfüllen und es an der Zeit ist, neue Strategien zu erproben. Ein Konflikt ist ein Moment des Nicht-Wissens. Es ist noch unklar, welche Strategie zur Lösung beiträgt. Anstatt dieses Nicht-Wissen zur Katastrophe zu machen, können wir den Konflikt als Informationsquelle nutzen, um gemeinsam neue Wege zu erproben, wie Bedürfnisse erfüllt werden könnten. So entwickeln wir uns weiter.

Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich festhalten, dass es nie um vollumfängliche Bedürfniserfüllung geht. Dies ist nur selten möglich. Es geht darum, dass Menschen in Gruppen, Gemeinschaften und Staaten darauf vertrauen können, dass unter dem Strich für ihre Bedürfnisse gesorgt wird. Menschen haben jeden Tag erfüllte und unerfüllte Bedürfnisse. Vorübergehend ausser Balance zu fallen, entspricht ganz dem Prinzip der Homöostase. Die konstante Angst hingegen, dass die eigenen Bedürfnisse nie sicher sind, ist traumatisierend. Wenn wir lebensbejahend zusammenleben wollen, ist es wichtig, dass die gewählten Strategien genug Bedürfnisse genug oft erfüllen.

Im übernächsten Abschnitt schreibe ich darüber, wie Konflikt in physische Gewalt eskalieren kann und warum Bedürfnisse dabei eine Rolle spielen. Zuerst möchte ich einen weiteren Punkt betonen, der für die Gewalt in der Welt relevant ist: Manipulation zur Pseudo-Bedürfniserfüllung.


Ich definiere Konflikt als kreativen Prozess, in dem zwei oder mehr Menschen Strategien neu verhandeln, mit denen sie ihre Bedürfnisse erfüllen wollen.


Ein Konflikt ist ein Moment des Nicht-Wissens. Es ist noch unklar, welche Strategie zur Lösung beiträgt. Anstatt dieses Nicht-Wissen zur Katastrophe zu machen, können wir den Konflikt nutzen um uns zu entwickeln.


Um tragfähige Lösungen zu finden, braucht es einen Dialog, in dem die Bedürfnisse aller Beteiligten angehört und ernst genommen werden. Ein solcher Dialog auf Augenhöhe ist unter den aktuellen Machtverhältnissen auf der Welt kaum vorstellbar.


Die Werbung verspricht, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit mit dem Konsum von Süssgetränk X zu stillen.
Bedürfnisse nach Abenteuer und Naturverbundenheit werden mit dem Kauf eines Motorrads der Marke Y verbunden.

Sprache und Gewalt: Manipulation zur Pseudo-Bedürfniserfüllung

Die Werbeindustrie lebt davon, Bedürfnisse und Strategien manipulativ zu vermengen. Diese Täuschung generiert den Überflusskonsum, der für den Reichtum und die Machtkonzentration der globalen Grosskonzerne nötig ist. Werbekampagnen basieren darauf, Bedürfnisse in uns wach zu rufen und diese dann gezielt mit Strategien zu koppeln, die zum Konsum verleiten. Oben abgebildet sind zwei Beispiele: Das Versprechen, das abgebildete Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu stillen, indem das Süssgetränk X eines Grosskonzerns konsumiert wird oder die Bedürfnisse nach Abenteuer und Naturverbundenheit  durch den Kauf eines Motorrads der Marke Y zu erfüllen (was besonders absurd erscheint, wenn wir uns das Ausmass der Umweltschädigung vor Augen halten, die durch die Verwendung fossiler Brennstoffe verursacht wird).

Bemerkenswert ist auch, dass im Wirtschaftsjargon der Ausdruck «Bedürfnisse kreieren» existiert, was sich unmissverständlich nicht auf Bedürfnisse im Rosenbergschen Sinn bezieht, sondern auf Strategien. So wird die Konsumgesellschaft dazu verleitet, lebensentfremdete Strategien zu wählen, die Bedürfnisse oft nur betäuben, sie aber nicht wirklich befriedigen. Hier kannst du mehr von uns zum Thema Pseudo-Bedürfniserfüllung nachlesen. Selbst wenn bestimmte Konsumgüter tatsächlich individuelle Bedürfnisse erfüllen, so geschieht es auf Kosten der Vernachlässigung von Bedürfnissen unzähliger Menschen, die diese Waren unter prekären Arbeitsbedingungen produzieren, während dieselben nicht vom Ertrag der globalen Konsum-Maschinerie profitieren, ganz zu schweigen von der Zerstörung der Erde .*

Das Beispiel der manipulativen Vermischung von Bedürfnissen und Strategien zeigt, dass Machtverhältnisse und unsere Sprache – damit meine ich nicht nur Worte, sondern auch Bilder, mit denen kommuniziert wird – untrennbar miteinander verbunden sind. Um tragfähige Lösungen für die Gewalt in der Welt zu finden, braucht es einen Dialog, in dem die Bedürfnisse aller Beteiligten angehört und ernst genommen werden. Ein solcher Dialog auf Augenhöhe ist unter den aktuellen Machtverhältnissen auf der Welt kaum vorstellbar. Darum müssen sich für effektive Friedensarbeit sowohl die Machtverhältnisse als auch der Sprachgebrauch, der diese Machrverhältnisse ermöglicht, ändern.

Wie ungehörte Bedürfnisse im Konflikt in physische Gewalt eskalieren

Die folgende Erklärung zur Entstehung physischer Gewalt**, kenne ich von Dominic Barter. Er revolutioniert mit der Praxis des empathischen Zuhörens das brasilianische Justizsystem. Hier ist ein aktueller Podcast, in dem Dominic Barter seine Arbeit beschreibt.(Er war kürzlich bei uns zu Besuch. Wir haben erste Schritte einer Zusammenarbeit besprochen. Wenn es konkreter wird, erzählen wir euch mehr darüber.)

Wenn eine Person im Konflikt ein Bedürfnis mitteilt und das Gegenüber nicht zuhört, dann sagt die Person die gleiche Botschaft beim zweiten Mal mit mehr Nachdruck und beim dritten Mal wahrscheinlich mit erhöhter Lautstärke. Wenn dies nicht dazu führt, dass ein konstruktives Konfliktgespräch stattfindet, in dem Bedürfnisse anerkannt und gemeinsam neue Strategien verhandelt werden, kann es vorkommen, dass die Person zu schreien beginnt, um sich endlich Gehör zu verschaffen.*** Der Schritt, zuzuschlagen oder zu Waffen zu greifen, kann in diesem Eskalationsschema als die höchste Stufe der Lautstärke verstanden werden, von der ein Mensch, eine Gruppe oder eine Regierung Gebrauch macht, um für ungehörte Bedürfnisse einzustehen.

Ich möchte betonen, dass es in dieser Analyse nicht um die Frage der Rechtfertigung physischer Gewalt geht. Ich trauere zutiefst mit jedem Opfer von Gewalt. Worum es geht, ist sichtbar zu machen, wo wir ansetzen können, um physische Gewalt zu verhindern. Empathisches Einfühlen und das Eingehen auf Bedürfnisse, die kommuniziert werden, ist eine kraftvolle Gewaltprävention und hat Deeskalationspotenzial.

Ich löse tagtäglich Konflikte und ich empfehle definitiv nicht, zu warten, bis Personen schreien oder gar physische Gewalt anwenden und dann mit dem Anhören der Bedürfnisse und dem Erproben neuer Strategien zu beginnen. Wenn bereits zu viel Verletzung geschehen ist, gilt es einzig, Grenzen zu setzen und Menschen so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen.

Aus diesem Grund schreibe ich im nächsten Abschnitt darüber, warum ich dafür einstehe, dass wir als Gesellschaft lernen, schon frühzeitig mit dem Zuhören zu beginnen und uns  entgegen der Geschwindigkeit der Leistungsgesellschaft  dafür ausgiebig Zeit zu nehmen.

* Wenn ich über die Konsumgesellschaft schreibe, kann ich es nicht unterlassen, die Frage aufzuwerfen, wie direkt unser Raubbau an der Erde mit internationaler Gewalt verwoben ist. Petro-Agression, eine Form des sog. Ressourcenfluchs, ist hierzu das meist untersuchte Beispiel. Petro-Aggression ist eine Bezeichnung dafür, dass Staaten, deren BIP zu 10 % oder mehr aus fossilen Brennstoffen erwirtschaftet wird, mit 250 % höherer Wahrscheinlichkeit in internationale Konflikte verwickelt oder Ziel von Konflikten werden, als Staaten, deren BIP weniger oder nicht von fossilen Brennstoffen abhängt. Ein anderes verheerendes Beispiel des Ressourcenfluchs findet aktuell in der Demokratischen Republik Kongo statt. Hier sind Kobalt und Kupfer die Unheilbringer. Metalle, die wir tagtäglich in unseren Computern und Handys mit uns tragen.

** Psychische Gewalt kann genauso verheerend sein wie physische Gewalt. Um den Rahmen der Analyse nicht zu sprengen, fokussiere ich heute auf physische Gewalt.

*** Andere Menschen werden nicht laut, sondern verinnerlichen die Verletzung ihrer Bedürfnisse beispielsweise in Form von Depression oder Selbstverletzung. Hier kannst du mehr von uns zum Thema psychisches Leid lesen. Heute scheibe ich lediglich über den äusseren Ausdruck der Gewalt.


Ich empfehle definitiv nicht, zu warten, bis Personen schreien oder gar physische Gewalt anwenden und dann mit dem Anhören der Bedürfnisse zu beginnen. Wenn bereits zu viel Verletzung geschehen ist, gilt es einzig, Grenzen zu setzen und Menschen so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen.


Ich stehe dafür ein, dass wir als Gesellschaft lernen, schon frühzeitig mit dem Zuhören zu beginnen und uns – entgegen der Geschwindigkeit der Leistungsgesellschaft – dafür ausgiebig Zeit zu nehmen.


Praktische Lösungen und Systeme, egal wie ausgeklügelt sie sind, ohne eine Kultur des Zusammenhalts, in dem die Menschen wissen, dass ihre Bedürfnisse angehört und von der Gruppe als schützenswert erachtet werden, zerfallen in lebensfremde Systeme.


Warum es sich lohnt, sich Zeit fürs Zuhören zu nehmen

Wenn ich in anderen Kontexten – nicht im Kontext von Krieg – dazu anhalte, sich Zeit zu nehmen, alle Bedürfnisse anzuhören und gemeinsam Strategien zu erproben, wie diese Bedürfnisse einfallsreich erfüllt werden könnten, bekomme ich oft den Einwand zu hören, dass dieses Zuhören zu lange dauert. Es stimmt, den Dialog so zu führen dauert eine Weile. Machtausübung ist schneller.

Sich diese Zeit zu nehmen. ist jedoch äusserst lohnenswert. Nehmen wir uns Zeit, alle Stimmen anzuhören, so können Entscheide getroffen werden, die länger hinhalten, weil sie von einer Kultur des empathischen Zusammenhalts getragen werden. Praktische Lösungen und Systeme, egal wie ausgeklügelt sie sind, ohne eine Kultur des Zusammenhalts, in dem die Menschen wissen, dass ihre Bedürfnisse von der Gruppe als schützenswert erachtet werden, zerfallen in lebensfremde Systeme.

Wenn Gruppenmitglieder nicht darauf vertrauen können, dass ihre Bedürfnisse von der Gruppe geschützt werden, dann ist es nur rational, strategische Systeme zu etablieren, die auf dem Prinzip der Machtausübung und der Gewalt basieren. Wenn ich nicht darauf vertrauen kann, dass dir meine Bedürfnisse wichtig sind, dann werde ich dazu verleitet, Macht oder im schlimmsten Fall Gewalt anzuwenden, um dich zu kontrollieren, damit meine Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Was geschieht, wenn Nationen diese Dynamik miteinander praktizieren, sehen wir schmerzhaft an vielen Stellen der Welt. Es zerreisst mir das Herz.

Wie wir jetzt handeln können

Was wir jetzt tun können, ist lauthals für das sofortige und anhaltende Ende der Gewalt einstehen. Alle Ressourcen müssen dahin gehen, dass Dialoge für gerechte und umsetzbare Lösungen stattfinden können. Dafür können wir kollektiv unsere Stimmen erheben.*

Neben dem Erheben unserer Stimme können wir bezeugen – uns nicht betäuben, sondern empathisch präsent sein und spüren, dass das Schlimmste passiert, was auf Erden geschehen kann. Es wird die Verstorbenen nicht wieder lebendig machen und die Geiseln nicht zurückbringen, aber es unterstützt die Überlebenden und Zurückgebliebenen. Ein Trauma wird um ein Vielfaches verstärkt, wenn die Betroffenen in ihrem Schmerz nicht wahrgenommen oder gar hinterfragt werden.** Adrienne Maree Brown und Hala Alyan sprechen in diesem Podcast ausführlich über das Bezeugen der Gewalt sowie die Ausdauer, das Ende der Welt zu überleben.

Wir können Trauerarbeit leisten. Um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, müssen wir als Menschheit unsere intergenerationellen Wunden heilen. Wir brauchen kollektive Trauerarbeit und nicht nur individuelle Trauma-Therapie. Wir tragen als Menschheit die Verantwortung und die Weisheit, uns dem Leid in der Welt zu widmen, Betroffenen zuzuhören und die kolossalen Gräueltaten der Vergangenheit und der Gegenwart anzuerkennen und zu betrauern. Trauerarbeit ist ein notwendiger Bestandteil effektiver Friedensarbeit. Dafür brauchen wir einander.

Schliesslich bedeutet die Auseinandersetzung mit Gewalt immer auch, in uns hinein zu schauen und anzuerkennen, dass das gewaltvolle System leider nicht nur «da draussen» ist, sondern dass es sich auch «in uns drin» in unseren Internalisierungen des Systems widerspiegelt. Dies anzuerkennen und schrittweise zu transformieren, ist ebenso wichtig, wie direkte politische Arbeit. Beides befruchtet einander. Beides funktioniert nicht ohne das andere. Hier kannst du mehr von uns zum Thema systemische Internalisierung und Kommunikation lesen.Hier ist eine sE>ndung zu diesem Thema mit Tanja Walliser auf englisch.

Dies ist weder eine abschliessende Liste möglicher Handlungen noch entspricht die Reihenfolge einer Rangordnung der Wichtigkeit. Es gibt unzählige Beiträge zur Beendigung der Gewalt und zur Regeneration der Erde. Hier kannst du mehr von uns zur Rolle der Menschen in der Regeneration der Erde lesen. Zusammengefasst steht da, dass wir als Menschheit ein regeneratives Potenzial besitzen. Wir tragen in uns die Kraft, Geschehnisse zu heilen und Zerstörung wieder aufzubauen. Dieses Potenzial können wir anzapfen für den Wiederaufbau unserer Welt.

Ich schliesse diese Analyse mit einem Gedicht der polnischen Dichterin Wisława Szymborska, das am 20. Oktober 2023 in diesem Gespräch von Combatants for Peace, einer Bi-Nationalen Friedensorganisation aus Israel-Palästina, vorgetragen wurde. 

Schaut zueinander
E> Lara

* Mit «uns» meine ich nur Leute, die dazu im Stande sind. Es gibt diverse Gründe, warum Menschen ihre Stimme nicht erheben können.

** Selbstverständlich gilt auch hier, auf die eigenen Grenzen zu achten. Ausserdem ist es nicht die Aufgabe hoch traumatisierter Menschen, die Gewalt in der Welt zu bezeugen.


Was wir jetzt tun können, ist lauthals für das sofortige und anhaltende Ende der Gewalt einstehen. Alle Ressourcen müssen dahin gehen, dass Dialoge für gerechte und umsetzbare Lösungen stattfinden können.


Das gewaltvolle System widerspiegelt sich auch «in uns drin». Unsere Internalisierungen des Systems schrittweise zu transformieren, ist ebenso wichtig, wie direkte politische Arbeit. Beides funktioniert nicht ohne das andere.


Wir tragen als Menschheit die Verantwortung und die Weisheit, uns dem Leid in der Welt zu widmen und die kolossalen Gräueltaten der Vergangenheit und der Gegenwart anzuerkennen und zu betrauern. Trauerarbeit ist ein notwendiger Bestandteil effektiver Friedensarbeit.


Wir tragen in uns die Kraft, Geschehnisse zu heilen und Zerstörung wieder aufzubauen. Dieses Potenzial können wir anzapfen für den Wiederaufbau unserer Welt.


Ende und Anfang

Nach jedem Krieg
muß jemand aufräumen.
Leidliche Ordnung
kommt nicht von allein.

Jemand muß die Trümmer
an den Straßenrand kehren,
damit die Leichenkarren
sie passieren können.

Jemand muß versinken
in Asche und Schlamm,
Sofafedern,
Glassplittern,
in blutigen Lumpen. 

Jemand muß, 
um die Wand zu stützen,
den Balken herbeischleppen,
jemand das Fenster verglasen 
und die Tür wieder einhängen. 

Fotogen ist das nicht,
und es kostet Jahre.
Längst zogen die Kameras
in den nächsten Krieg.

Wir brauchen Brücken zurück 
und neue Bahnhöfe.
Die Ärmel vom Hochkrempeln
hängen in Fetzen. 

Jemand, mit dem Besen in der Hand, 
erinnert sich noch, wie es war. 
Jemand hört zu und nickt 
mit dem ungeköpften Kopf.
Aber ganz in der Nähe schon
treiben sich welche herum,
die das langweilig finden. 

Manchmal buddelt einer unterm Strauch
durchgerostete Argumente aus 
und wirft sie auf den Müll. 

Diejenigen, die wußten,
worum es hier ging,
machen denen Platz,
die wenig wissen.
Weniger noch als wenig.
Und schließlich so gut wie nichts.

Im Gras, das über Ursachen und Folgen wächst,
muß jemand ausgestreckt liegen,
einen Halm zwischen den Zähnen,
in die Wolken blickend.

PS: (Noch mal, falls du es oben nicht gesehen hast) Leute fragen uns manchmal, wie sie unser Projekt unterstützen können. Diese Frage ist wohltuend, denn, auch wenn es etwas unangenehm ist, es zuzugeben, wir bräuchten eingentlich mehr Unterstützung, als wir im Moment erhalten.

Was uns besonders unterstützt sind zwei Dinge

  1. Finanzielle Unterstützung: einmalige Spenden (twinte hier direkt), werde hier unser Fördermitglied
  2. Bringt eure Liebsten an unsere Einführungsabende

PPS: Magst du ein, zwei Leute an den Zoom-E>inführungsabend am 11.1.24 einladen?

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