Die vielleicht tiefste Frage💥🕗

Auch ich finde es manchmal schwierig, nicht in Hass zu verfallen, wenn ich sehe, was die Menschen auf unserem Planeten tun. (…) Es ist jedoch Teil der regenerativen Bewegung fĂŒr unsere Erde, dass wir voll und ganz aus binĂ€rem Denken aussteigen. (…) Wie können wir wieder zu WohltĂ€ter:innen der Erde werden?

DarĂŒber schreibe ich heute.


Ich machte diese Bilder von Mara im August. In meinem lokalen Ökosystem herrschte DĂŒrre. Peripher war ich umgeben von WaldbrĂ€nden. Ich war tief traurig. Darum schreibe ich heute ĂŒber die Regeneration unserer Welt und darĂŒber, worin ich die grösste Hoffnung unserer Zeit sehe.


In der Konfliktlösung gilt folgendes Prinzip: Konflikte können dann gelöst werden, wenn die Gruppenmitglieder anerkennen, dass sie eine Gemeinschaft sind. Im Konflikt geschieht es oft, dass Gruppen in binĂ€res Denken verfallen. (Das Wort «binĂ€r» kommt vom Lateinischen «binarius», was zweifach oder aus zwei bestehend heisst.) In einem Konflikt binĂ€r zu denken bedeutet, sich in zwei Gruppen zu trennen: in die einen (die im Recht sind) und die zweiten (die schuld sind). Dabei herrscht keine Einigkeit ĂŒber die korrekte Zuteilung (es wird darĂŒber gestritten, wer in die zweite Gruppe der Schuldigen gehört). Diese Art des binĂ€ren Denkens vergiftet den Zusammenhalt. Ein KonfliktgesprĂ€ch auf Augenhöhe ist nicht mehr möglich.

Gruppen, die daraus ausbrechen – in dem sie aufhören sich in zwei Lager zu trennen, sondern anerkennen, dass kein Mensch perfekt ist und dass es fĂŒr eine Lösung nötig ist, dass alle Mitglieder zusammenhalten – das sind Gruppen, die ihre Konflikte lösen können. 

Wenn ich mit Gruppen arbeite, die UnterstĂŒtzung fĂŒr einen Konflikt brauchen, dann beginne ich deshalb nicht mit einer Lösungssuche, sondern ich etabliere zuerst ein GemeinschaftsgefĂŒhl der Zusammengehörigkeit. Lösungen sind in den meisten FĂ€llen bereits vorhanden, sie werden allerdings nicht umgesetzt, solange sich die Gruppe in zwei (oder noch schlimmer, mehr als zwei) Lager auftrennt. Ist der Zusammenhalt aber restauriert, so ergeben sich die Lösungen fast wie von selbst.

Die globale Ökosystem-Krise können wir als Konflikt betrachten, innerhalb dessen wir* diesen Schritt noch nicht getan haben. Wir sitzen mehr oder weniger unbewusst in einem binĂ€ren Denken in den Kategorien Mensch und «Natur»** fest. Wir erleben diese Krise nicht in einer Gemeinschaft auf Augenhöhe mit den nicht-menschlichen Bestandteilen des Ökosystems Erde. Noch nicht.

Ich hoffe, im Folgenden erklÀren zu können, was ich damit genau meine.

* Wenn ich «wir» schreibe, meine ich alle Menschen, die in einer Ă€hnlichen Kultur leben wie ich. Es gibt Kulturen, die in einer vollumfĂ€nglichen Ökosystem-Gemeinschaft leben. Leider sind es nicht die mĂ€chtigen Kulturen dieser Welt. 

** Ich schreibe «Natur» in AnfĂŒhrungszeichen, weil ich der Ansicht bin, dass der Mensch nicht getrennt von der Natur, sondern Teil von ihr ist. Ich beobachte allerdings die Verwendung des Wortes im Sinne einer Abgrenzung. Mit «ich gehe in die Natur» beziehen wir uns auf einen Waldspaziergang oder eine Bergwanderung und nicht auf einen Ausflug in die Menschenmasse der Bahnhofstrasse.


Ich befĂŒrchte, dass wir unseren Ökosystem-Konflikt nicht lösen werden, wenn wir unser binĂ€res Denken beibehalten. Darin vermute ich die vielleicht grösste Hoffnung unserer Zeit.


Ich mag mich tĂ€uschen – versteht diesen Text daher bitte nicht als vollendetes Manifest, sondern als Grundlage fĂŒr ein GesprĂ€ch mit mir, in dem ich gerne dazulerne â€“ aber momentan tendiere ich, dazu zu denken, dass es auf planetarer Ebene nicht anders ist, als in den Gruppenkonflikten, die ich begleite.

Konkret gibt es zwei Arten von binĂ€rem Denken, die ich im Ökosystem-Konflikt beobachte und die ich beide transformieren möchte. Hier ist die erste: 

BinĂ€re Abwertung der «Natur»
→ Der Mensch (1) ist wichtiger als die «Natur» (2)
Ich bin skeptisch gegenĂŒber allen Öko-Lösungen, welche auf der binĂ€ren Einteilung in Mensch und «Natur» grĂŒnden, besonders wenn die «Natur», sprich die nicht-menschliche Welt zur Maschine objektifiziert wird. Solange wir denken, dass der Planet ein etwas zu warm gewordenes GerĂ€t ist, das wir durch High-Tech Engineering flicken mĂŒssen, mache ich mir Sorgen, dass wir an den lebensnotwendigen BedĂŒrfnissen des Ökosystems vorbeizielen. Maschinen haben keine BedĂŒrfnisse. Sie wurden gemacht, um menschliche BedĂŒrfnisse zu erfĂŒllen. Die nicht-menschliche Welt ist aber mehr als das. Sie ist nicht bloss hier um menschliche BedĂŒrfnisse zu stillen. Was braucht der Wald? Was braucht das Meer? Was braucht der Biber? Was braucht der Wind? Solche Fragen möchte ich ins Zentrum der ökologischen Debatte stellen und mit gleicher Ernsthaftigkeit behandeln, wie die Frage, was der Mensch braucht. Paradoxerweise glaube ich, dass es auch uns Menschen auf der Erde besser gehen wird, wenn wir anfangen diese Fragen zu stellen.

Ich weiss, ich beschreibe eine extreme Position und es kostet mich Mut, sie zu vertreten, weil ich dafĂŒr oft verniedlicht und manchmal sogar angefeindet werde. Ich möchte mich aber nicht zensieren, weil ich darin die vielleicht grösste Hoffnung unserer Zeit sehe.

Im Moment denke ich, dass wir den Ökosystem-Konflikt nicht lösen werden, ohne ein globales ÖkosystemverstĂ€ndnis, in welchem die menschliche und die nicht-menschliche Welt ebenbĂŒrtig vereint sind. Ich wĂŒnsche mir eine globale Gemeinschaft, in der jede Ameise, jeder Wald, jeder Bach, ja sogar der Wind als gleichwertig gesehen wird, wie der Mensch.


Es gibt zwei Arten von binĂ€rem Denken, die ich gerne auflösen wĂŒrde: die Objektifizierung der «Natur» und die Pathologisierung der Menschheit.


Wenn wir das binĂ€re Denken in den Kategorien Mensch (1) und «Natur» (2) transformieren und uns von der Haltung befreien, dass es auf eine gewisse (manchmal subtile) Weise doch nur um die Menschen geht, dann wird ein Systemwandel möglich werden, der heute noch undenkbar ist. 

Versteht mich nicht falsch. Ich schlage nicht vor, dass wir die aktuelle Arbeit am System einstellen und nur noch still da sitzen und nonbinĂ€res Denken kultivieren. Ich möchte das System verĂ€ndern, wĂ€hrend wir unser Denken transformieren und umgekehrt. Es ist keine Entweder-Oder-Frage. Das eine befruchtet das andere.

Und nun zur zweiten Art des binĂ€ren Denkens, die ich gerne transformieren wĂŒrde.

BinÀre Abwertung der Menschheit
→ Die «Natur» (1) ist wichtiger als der Mensch (2)
Ich befĂŒrworte auch nicht die umgekehrte Form der Ausgrenzung. Manchmal begegne ich der Ansicht, dass die Welt besser dran wĂ€re ohne uns Menschen. Diese Aussage stellt uns nicht mehr ĂŒber die «Natur», sie grenzt uns jedoch als minderwertig aus der Ökosystem-Gemeinschaft aus. Das ist immer noch keine Begegnung auf Augenhöhe. Wenn wir so denken, dann verpassen wir unser regeneratives Potential. So schwer es zu glauben ist â€“ auch ich finde es manchmal schwierig, nicht in Hass zu verfallen, wenn ich sehe, was die Menschen auf unserem Planeten tun –  wir Menschen sind keine böse Krankheit. Auch wir haben einen Beitrag zu leisten ans Ökosystem Erde.


Das ist die vielleicht tiefste Frage, die wir uns in der heutigen Zeit stellen können: Was ist die Funktion der Menschheit fĂŒrs Ökosystem Erde und wie können wir diese wieder vollumfĂ€nglich einnehmen? In anderen Worten, wie werden wir wieder zu WohltĂ€ter:innen der Erde?


 E>

PS: Es kostet mich grossen Mut, diese Gedanken in einem Newsletter zu versenden. Wenn ich aus meinem persönlichen Leben berichte, werde ich in der Regel nicht angegriffen, wenn ich hingegen meine Gedanken Ă€ussere, die ĂŒber meine Person hinaus gehen, dann hagelt es manchmal regelrecht Kritik. Falls du meinen Text also gelesen hast und die Worte dich angesprochen haben, halte dich bitte nicht zurĂŒck, mich das wissen zu lassen. ❤️

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